23. Dezember 2023
Bericht:
Business Angels & Reconstructing Ukraine 2023
Kiew / Berlin / Dresden. Können deutsche und europäische Business Angels bereits heute beim Wiederaufbau der Ukraine eine Rolle spielen? Um diese Frage zu beantworten, reisten wir im Frühjahr 2023 in die Ukraine, um verschiedene Akteure des Startup-Ökosystems zu treffen. Weitere Reisen sollten folgen. Unser Bericht fasst die wichtigsten Ergebnisse von über 40 persönlichen Treffen in Lwiw, Kyjiw, Kharkiw und Odesa von Mai bis Dezember 2023 zusammen (Englisch).
Wichtigste Erkenntnisse
1. Auswirkungen des Krieges
Im Jahr 2022 erlitt die Ukraine einen erheblichen BIP-Einbruch von schätzungsweise einem Drittel, ergriff jedoch Maßnahmen zur Stabilisierung ihrer Wirtschaft. Der Krieg beeinträchtigt den Wohnungsbau, die Energieinfrastruktur, die Industrie und Unternehmen im Allgemeinen stark und erfordert in vielen Regionen einen Wiederaufbau.
2. Aussichten auf eine wirtschaftliche Erholung
Der Wiederaufbauplan des NRC sieht von 2022 bis 2032 825 Milliarden US-Dollar für den Wiederaufbau der Ukraine vor, wobei der Schwerpunkt auf Sektoren wie Bauwesen, grüne Wirtschaft und Gesundheit liegt. Die Integration in westliche Märkte – insbesondere in die EU – verspricht Wachstum. Jüngste Wiederaufbau-Konferenzen konnten erhebliche Mittel einsammeln, um diesen Prozess schon heute zu unterstützen. Der ukrainische IT-Sektor spielt eine entscheidende Rolle für Innovationen, während Verteidigung und GovTech für die Verteidigung und Resilienz von entscheidender Bedeutung sind.
3. Goodwill und Nachhaltigkeit
Die Gewinnung ausländischer Investitionen ist für den Wiederaufbau der Ukraine und ihre Integration in die EU von entscheidender Bedeutung. Investitionen in ukrainische Start-ups können dabei zum Einen erhebliche Gewinne generieren, und zum anderen soziale Themen sowie den Brain Drain adressieren.
4. IT Outsourcing Legacy & Human Capital
Die ukrainische IT-Branche trägt maßgeblich zur Wirtschaftskraft und zum Talentpool des Landes und damit entscheidend zur Widerstandsfähigkeit und Innovation bei. Gleichzeitig haben zahlreiche ukrainische IT-Unternehmen seit Kriegsausbruch ihren Hauptsitz sowie Teams ins Ausland verlegt. Das Land verfügt - insbesondere im IT-Bereich - über eine gut ausgebildete, sehr gut englischsprachige sowie hochmotivierte junge Bevölkerung. Der Brain Drain durch Abwanderung und Flucht ist allerdings, gerade unter jungen Frauen, massiv spürbar.
5. Vertikals heute
Zu den Wirtschaftssektoren, die während des Krieges in der Ukraine an Dynamik gewinnen, gehören Verteidigung und Dual-Use, der Gesundheitssektor, GovTech, Bauwesen/Versorgung, Logistik, Digitalisierung, green economy sowie soziale Dienste. Die Ukraine ist auf dem besten Wege, ein wichtiger Akteur im Bereich Hightech-Defense zu werden.
6. Resilienz & Agilität
Die ukrainische Wirtschaft einschließlich der Start-ups reagierten auf den Krieg, indem sie ihre Unternehmen aus umkämpften in sicherere Regionen des Landes verlagerten, die Widerstandsfähigkeit ihrer Infrastruktur verstärkten, agile Managementmaßnahmen einführten, soziale Unterstützungsmaßnahmen umsetzten und mit Unterstützung der IT-Branche und des Ministeriums für Digitale Transformation eine starke, werteorientierte Unternehmenskultur förderten.
Die hohe Agilität und die kurzen Innovationszyklen sind aktuell ein wesentliches Merkmal der ukrainischen Wirtschaft und Gründerlandschaft.
7. FDI heute und morgen
Krieg und Geopolitik prägen die Entwicklung ausländischer Direktinvestitionen in die Ukraine. Nach dem Krieg wird ein starkes Wachstum ausländischer Direktinvestitionen erwartet, unterstützt durch internationale Donors. Eine aktive Rolle kommt auch der ukrainischen Diaspora zu.
8. Innovationsökosystem
Die Innovationsgeschichte der Ukraine erstreckt sich über 30 Jahre und begann mit Gründerzentren und internationaler Unterstützung bereits in den 1990er Jahren. In den 2000er Jahren entstanden Technologieparks, viele verschwanden jedoch aufgrund von Finanzierungs- und Compliance-Problemen. In den 2010er Jahren entwickelten sich Investitionen im Start-up und Tech Bereich. Globale Programme wie StartupWeekend, insbesondere in Städten mit starker Software-Outsourcing-Branche, entstanden. Zu den wichtigsten Entwicklungen der jüngeren Geschichte zählen Unit.City, der Ukrainian Startup Fund (USF) und die jüngsten Initiativen seit Kriegsausbruch wie das Defense-Cluster Brave1.
9. Risikokapital und private Investoren
Das ukrainische Startup-Ökosystem zeichnet sich durch einige aktive Business Angels aus, vor allem aus dem Technologiebereich, deren Initiativen 2014 starteten. Die Anzahl ist im internationalen Vergleich allerdings gering. Es gibt bisher noch wenige Risikokapitalfonds und Acceleratoren, die allerdings einen wichtigen Beitrag im Ökosystem leisten. Die meisten Programme und Initiativen konzentrieren sich auf Kyjiv. Der Westen der Ukraine, insbesondere Lwiw, erlebt aufgrund des Krieges einen starken Aufschwung.
10. Rechtssystem
Die Ukraine hat 2019 investorenfreundliche Änderungen eingeführt, die sie attraktiver für Risikokapital machen. Allerdings kann es komplex sein, sich in der Rechtslandschaft zurechtzufinden und Recht durchzusetzen. Zahlreiche ukrainische Startups weichen deshalb - neben dem kriegsbedingten Druck - aufgrund der Fragezeichen im Rechtssystem oft in die EU (insbesondere Polen, Baltikum) oder in die USA (insbesondere Delaware) aus.
Barrieren und Risiken
Krieg
Niemand weiß, wann und wie dieser Krieg enden wird. Sicher ist nur, dass er eines Tages enden wird. Investoren müssen diese Situation im Auge behalten und die verschiedenen Szenarien - sowohl aktuell als auch nach Kriegsende - entsprechend in der Entscheidungsfindung berücksichtigen. Wir sind überzeugt, dass die meisten Szenarien ein günstiges Umfeld für diese Investitionen bieten werden.
Im Kontext des aktuellen Krieges und darüber hinaus wird Cyberkrieg zu einem zunehmend relevanten Risiko mit Auswirkungen auf den Schutz geistigen Eigentums und auf die gesamte unternehmerische Tätigkeit, insbesondere im Technologiebereich. Wir gehen davon aus, dass die Relevanz dieses Bereichs nicht auf die Ukraine beschränkt ist.
Korruption
Im Jahr 2022 belegte die Ukraine im Korruptionsindex von Transparency International Platz 116 von 180 Ländern. Korruption und mangelnde Transparenz sind in der Ukraine nach wie vor alltägliche Probleme. Positiv ist, dass diese Probleme angegangen werden. Lokale Teams wie auch Investoren müssen sich mit diesen Faktoren auseinandersetzen.
Bei Kooperationen und Investitionen in forschungsintensiven und hochsensiblen Deep-Tech-Bereichen ist es unerlässlich, die potenziellen Auswirkungen von Korruption zu berücksichtigen. Dies schließt das Risiko von Informationslecks in Richtung der Russischen Föderation und Chinas (VR China) ein.
Rechtlicher Rahmen
Zahlreiche ukrainische Startups registrieren ihren Rechtssitz außerhalb der Ukraine, beispielsweise in Estland oder Delaware. Das ukrainische Rechtssystem bietet derzeit nicht die Stabilität westlicher Pendants, insbesondere in Bezug auf Durchsetzbarkeit. Die laufende und zukünftige Integration in die europäischen Märkte wird dies adressieren.
Verlässlichkeit von Informationen
Ein positives Bild der Ukraine in den westlichen Medien ist selbstverständlich Teil der ukrainischen Strategien. Einige dieser Bilder könnten verzerrt, voreingenommen oder ungenau sein. Daher ist es für Investitionen in der Ukraine notwendig, ein klares und unverzerrtes Bild der Lage zu gewinnen.
Empfehlungen
Brain Drain vermeiden
Die Sensibilität in punkto Brain Drain ist in der Ukraine hoch. Wir erwarten, dass jegliche Initiative und Investitionen, die ukrainische Teams und Unternehmen dabei unterstützen, im Land zu bleiben und sich zu entwickeln, die Vernetzung stärken und politische Unterstützung generieren kann.
Wir verstehen gleichzeitig, dass es aktuell auf pragmatische Lösungen ankommt. Ein Business Angel könnte Investments in Start-ups präferieren, die zwar in einem Land wie Polen registriert sind, die Mehrzahl des Teams und damit der Arbeitsplätze allerdings in der Ukraine belässt.
Dual-use Investments
Investitionen in Defense und Dual-Use erfordern entsprechende Instrumentarien. Ethische Aspekte, die für oder gegen solche Investitionen sprechen, wollen wir an dieser Stelle nicht bewerten. Dual-use Applikationen und Produkte bieten aus unserer Sicht schon heute erhebliches Investitionspotential für nicht-militärische Anwendungsfelder.
Beispiele dafür sind Health Tech, die Minenräumung sowie Innovationen in den Zivilschutz.
Hype-Cycle und Timing
Die verschiedenen Phasen während und nach dem Krieg müssen bei Investitionen berücksichtigt werden. Wir rechnen mit einem Investionsboom bei Kriegsende. Das Timing ist entscheidend!
Die Entwicklung einer Business Angel Kultur
Wir empfehlen, die Business Angel Community in der Ukraine mit verschiedenen Instrumenten zu unterstützen. Die Community muss an Zahl und Tiefe wachsen, um dem Start-up-Ökosystem die entsprechende Dynamik zu verleihen.. Ukraimpulse Ventures bietet lokalen Business Angel Untersützung an und wird die Vernetzung weiter vorantreiben.
Piloten & Lernen
Ukraimpulse Ventures plant, 2024 mit einem Pilotfonds zu starten, um Erfahrungen mit Investitionen in ukrainische Start-ups zu sammeln. Wir gehen davon aus, die gewonnenen Erkenntnisse genutzt werden können, um zukünftig einen entsprechenden Fond aufzulegen. Wir empfehlen, für geplante Angel-Investments in der Ukraine nach Möglichkeit lokale Co-Investitionen einzubinden.